Die “Berliner Börsen Zeitung” vom 28.12.1899 schreibt:
»Wenn wir uns nun das vielbesprochene Opus betrachten, so müssen wir sagen, daß die Künstler der Reichspost keinen besonderen Ruhm erworben haben.
Die Zeichnung der Vorderseite, diese wie von Kinderhand gestrichelten Wolken, die charakterlose Zahl “1900”, die von allen Kalendern her bekannte Sonne mit den unvermeidlichen Strahlenbündeln, all´ das erinnert in seiner Dürftigkeit und Kümmerlichkeit an die Glückwunschkarten, die uns zu Neujahr von Schornsteinfegern und anderen naiven Gratulanten vorgelegt wurden. Trostlos und unter jeder Kritik ist vor Allem die neue Reichspostmarke, die uns hier zum ersten Male vorliegt. Der Kopf der Germania ist gewöhnlich, geistlos und ohne jede Noblesse, der Druck so unklar, daß der Kopf sich nicht im Geringsten plastisch von dem viel zu roh schraffirten Hintergrunde abhebt.
Der Postbeamte, der dieses Meisterwerk schuf muß ein Kindergemüt sein, das von künstlerischem Komponieren keine Ahnung hat. Sonst hätte er nicht auf die einfach unglaubliche Idee kommen können, die Hand der Germania noch mit auf das Bild zu bringen. Man sehe sich diese verkümmerte Hand an, die da in die Ecke unten links eingequetscht ist, und man wird sich fragen, was diese Hand und dieses schiefe Schwert eigentlich für einen Sinn haben sollen. Es sieht aus, als ob die interessante Dame sich mit einem Degen in der Magengegend herumstochert. Die alte Reichspostmarke war ja gewiß etwas nüchtern und phantasielos, aber sie entsprach doch mehr der Würde eines großen Reiches, als dieses schwächliche Werk, das im Auslande, von deutschem Geschmack und deutscher Kunstfertigkeit ein merkwürdiges Zeugnis ablegen wird.«
Den vorstehenden Kommentar der “Berliner Börsen Zeitung” vom 28.12.1899 und den folgenden der “Leipziger Volkszeitung” vom 29.12.1899 fasst “Die Post”, der Universal-Anzeiger für Briefmarkensammler in ihrem Artikel vom 20.1.1900 im Heft N°1 des VII. Jahrgangs zusammen.
Aus der “Leipziger Volkszeitung” vom 29. 12. 1899:
»Die amtlichen Neujahrskarten zur Jahrhundertwende, welche von unserer Reichspost in einer Auflage von 5, nach anderer Meinung 1,5 Millionen Stück gedruckt worden sind, wurden gestern früh an den Postschaltern käuflich an das Publikum abgegeben. Der Zudrang zu diesem Verkauf war so enorm, daß die Auflage kurz darauf vergriffen war. Die Karten wurden dabei, um sie möglichst zur Verbreitung gelangen zu lassen, nur in Partien von höchstens 5, später sogar zu 2 Stück abgegeben. Auf der Hauptpost wurden die Fenster eingedrückt. Ferner wird uns geschrieben: Die Ausgabe der Jahrhundertpostkarte, die gestern bei den Reichspostanstalten erfolgte, hatte überall einen förmlichen Sturm auf die Postschalter herbeigeführt. Wie hier in Leipzig, so mußten auch in Berlin, Dresden, Chemnitz und den zahlreichen sächsischen Orten, aus denen uns Nachrichten vorliegen, die Schalter nach kurzer Zeit wieder geschlossen werden, da die verhältnismäßig geringe Zahl der neuen Karten, welche auf die einzelnen Verkaufsstellen entfallen war, sehr schnell ausverkauft wurde. Doch werden voraussichtlich bald neue Sendungen der Jahrhundertkarte an die Postanstalten gelangen. Natürlich entwickelt sich nunmehr ein flotter Zwischenhandel in den Karten; hier z.B. wurden gestern Nachmittag bereits 5o Pf. für die Karte gezahlt. Dieser Übelstand war bei der unzureichenden Zahl der verausgabten Karten zu erwarten; es sehnte sich nach dieser Jahrhundertpostkarte 1900 eine große Anzahl Leute, die "leider" eine solche nicht erwerben konnten. Diese Sehnsucht mag bei Briefmarkensammlern erklärlich sein, die andern aber sollen froh sein, wenn ihnen nicht ein guter Freund dieses Erzeugnis Berliner Druckkunst auf den Hals schickt.«
Die “Magdeburger Zeitung” vom 29.12.1899 berichtet:
»Die Deutsche Postkarte zum Jahreswechsel. Uns wird geschrieben:
Wer heute einige von den zum Jahreswechsel von der Reichspostverwaltung ausgegebenen Postkarten erwerben wollte, mußte zeitig aufstehen. Obwohl die hiesigen Postämter nicht mehr als 10 Stück an den einzelnen verkauften, waren doch schon zehn Minuten nach acht Uhr sämmtliche Bestände ausverkauft. Als ich mir diesen neuesten Gegenstand der Sammelwuth näher ansah, mußte ich gestehen, daß die Karte, was ihren künstlerischen Werth betrifft, mir der Anstrengungen nicht Werth schien, die zu ihrem Erwerb gemacht werden. Die Zeichnung (Jahreszahl 1900 in einer aus Wolken hervortretenden Sonne) entbehrt der künstlerisch feinen Ausarbeitung. Sie macht den Eindruck einer flüchtig mit groben Bleistift oder Federstrichen hingeworfenen Skizze. Wenn man dagegenhält, was andere Staaten, z.B. Amerika, an künstlerischer Ausführung von Marken- und Kartenbildern leisten, so wird man sagen müssen, dass die deutsche Postverwaltung wohl in der Lage gewesen wäre, auch etwas zu liefern, das nicht allein der Merkwürdigkeit, sondern auch der Ausstattung wegen werth gewesen wäre, gesammelt zu werden. Auch von dem Markenbilde in der Ecke wird man enttäuscht sein. Der Kopf der Germania ist grün
schraffirt; dieselbe Schraffirung zeigt auch der Hintergrund des Bildes. Man muss also sehr genau hinsehen, wenn man das Bild erkennen will. Ein weißer Hintergrund oder bei grünem Hintergrunde ein weißes Bild würde entschieden zweckentsprechender sein. Überhaupt haben derartige allegorische Darstellungen ihr Bedenkliches; Die meisten werden sich von der Germania ein anderes Bild machen, als die Marke zeigt. Einer heraldischen oder Portrait-Darstellung würde ich für meinen Theil den Vorzug geben. Wenn die am ersten Januar in den Verkehr kommenden neuen Markentypen sämmtlich den Marken auf der Jahrhundert-Postkarte gleichen sollen, dann haben wir einen schlechten Tausch gegen unsere alten Marken gemacht.«
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