Der “Philatelist - Zeitschrift für Briefmarkensammler” berichtet am 15. Februar 1900:
»Die deutsche Jahrhundert-"Postkarte", die wir in unserem letzten Referate ganz schüchtern als "unschön" bezeichneten, hat in der gesammten Tagespresse eine gründliche Verurtheilung erfahren. Einzelne Kritiken verstiegen sich zu den drastischsten Sarkasmen! Dennoch findet die Karte nach wie vor reissenden Absatz!" Die
Reichsdruckerei stellt täglich 400.000 Stück davon her, so dass seit Neujahr weitere 8 Millionen Stück an die Verkehrsanstalten vertheilt werden konnten. Aus dem Umstande, daß die Karte bei vielen Verkehrsanstalten fast stets ausverkauft ist, wird mehrfach zu Unrecht geschlossen, dass die Karte überhaupt nicht mehr zu haben sei. Dem ist nicht so, "die Karte wird solange hergestellt und verkauft, als Nachfrage danach ist." So lautet eine amtliche Auslassung. Wo diese 8 Millionen Karten eigentlich hingekommen, wissen die Götter! Sicher aber hat man ein Recht zu behaupten, dass sie gegen den Willen der
Reichspostbehörde zumeist in die Hände von Speculanten kommen müssen, da man im Verkehr höchst selten, ja fast nie ein Exemplar sieht und diejenigen Leute, die zufällig ein oder mehrere Exemplare erhielten, schon heut der Ansicht leben, eine extrae Kostbarkeit zu besitzen. Schon aus diesem Grunde hoffen wir, dass die competente
Behörde beschlossen hat, diese zwar keinesfalls in ihrem Äußeren unser theures Vaterland und sein auf höchster Blüthe stehendes
Postwesen nach Gebühr repräsentierende, aber krankhaft gesuchte Postkarte unentwegt weiter drucken und in Cours lassen wird, denn dann wird die Speculation letztlich doch kaufmüde und der Endzweck der Ausgabe derselben wird erreicht, daß Jedermann sich ohne Aufgeld ein Exemplar zulegen und aufheben kann.
Übrigens spricht man davon, am 01. Januar 1901, dem wirklichen Tag des Beginnes des
20.
Jahrhunderts, werde erneut eine "wirkliche" Jahrhundert-Postkarte verausgabt werden und zwar in denkbar künstlerisch vollendeter Ausführung! Ob dem so ist, wir wissen´s nicht - aber in Ordnung
wär´s!«
Inzwischen wissen wir, daß es keine besondere Ausgabe zum wirklichen Jahrhundertwechsel gegeben hat.
Es wurden nur, unter anderem so wie hier
gezeigt, einzelne Karten mit dem Hinweis auf den Jahreswechsel 1900-1901 versehen. Für die bis zum heutigen Tage andauernde Beliebtheit der Jahrhundertkarten war das wohl nur förderlich.
W. Percy Barnsdall schreibt in der Zeitschrift Gibbons Stamp Weekly am 17. 10. 1908:
»Es ist nicht sicher, ob die unrechtmässigen Nachdrucke der letzten Ausgabe die Regierung zum Wechsel der Marken veranlaßten - jedoch, wie dem auch sei, erschien 1900 ein neuer Satz. Ein Gerücht besagt, sie verdanke ihr Dasein dem
vielseitig (begabten) Monarchen des deutschen
Reiches, und dass er sogar das Mittelstück der Pfennigwerte entworfen habe. Es ist gewiss, dass die Marken zum Gedenken des 20. Jahrhunderts ausgegeben wurden. Der
Kaiser, wie viele andere Leute, war der verfehlten Meinung, dass das 20. Jahrhundert am 1.1.1900 begann - und demzufolge hatte es für Deutschland so zu sein. Der bewusste Entwurf besteht aus einer allegorischen Büste der
Germania in
Panzerharnisch und mit der
kaiserlichen Krone auf dem Haupte, jedoch wurde ihm nicht der öffentliche Beifall entgegengebracht, und es ist tatsächlich ein armseliges Beispiel teutonischer Kunst. Den Gegenstand des Entwurfes betreffend, sind etliche Berichte verbreitet. Man sagt, dass der
Kaiser beim Entscheid des Markenwechsels sein Portrait auf dem neuen Satz zu haben wünschte, doch auf die Gefühle der vielen deutschen Herrscher, die ein wenig heikel in Sachen Oberherrschaft sind, wurde der Gedanke verlassen und die
Germania an die Stelle gesetzt. Manche sagen, die
Kaiserin habe als Modell gedient für die Personifizierung der Nation auf den Marken, andere, daß eine
junge Schauspielerin, deren Charakterdarstellung in einem Schauspiel dem
Kaiser so gefallen habe, daß er befahl, sie solle als Modell dienen.«
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